Das erste Mal „en femme“

Es mag ja fĂŒr einige von Euch nur eine Äußerlichkeit oder eine NebensĂ€chlichkeit sein, ich aber finde, dass es auf Dauer nicht langt, sich als Frau zu fĂŒhlen, sondern man sollte auch von der Umwelt als solche erkannt werden.
Deshalb habe ich mir so nach und nach eine passende Garderobe zugelegt, Schuhe von Ebay, Röcke selbst geschneidert (Taille 48, HĂŒfte 44 gibt’s leider nicht von der Stange), und Silikon-BrĂŒste von einem Internetanbieter (ok, die sind relativ unrealistisch, in meinem Alter mĂŒssten die schon wesentlich mehr hĂ€ngen).
Nur eine PerĂŒcke bei Ebay kaufen ist hoffnungslos. Man kann zwar mit Styling-Programmen eine Idee bekommen, was einem steht oder nicht, aber irgendwie weicht die RealitĂ€t mit den Billigprodukten aus dem Internet dann doch von den virtuellen Bildern ab. Also bleibt nichts anderes ĂŒbrig, als in ein entsprechendes FachgeschĂ€ft zu gehen um eine passende PerĂŒcke zu finden. PerĂŒckengeschĂ€fte gibt es ja genĂŒgend, und die mögen es auch gewöhnt sein, dass alle möglichen schrĂ€gen Vögel zu ihnen kommen, aber ich habe doch Hemmungen, als Frau angezogen mit MĂ€nnerkopf durch die Stadt zu laufen um zu solch einem Laden zu kommen.
Zum GlĂŒck gibt es aber GeschĂ€fte, die sich darauf spezialisiert haben, MĂ€nnern bei der (Ă€ußerlichen) Verwandlung zur Frau zu helfen.
Einer dieser LĂ€den, befindet sich in Woerden, einer Kleinstadt ca 30 km sĂŒdlich von Amsterdam.
Da sowieso ein kurzer Urlaub in unserem Nachbarland geplant war, ließ sich ein Besuch beim Travisage (so nennt sich der Laden) ganz gut einbinden.
Das Travisage ist kein normales LadengeschĂ€ft, sondern arbeitet nur auf Terminabsprache, um die AnonymitĂ€t der Kunden zu gewĂ€hrleisten. Ich rief also am Montag in dem Laden an, um einen Termin zu machen. Mit HĂ€nden und FĂŒĂŸen ist mein HollĂ€ndisch ja gar nicht so schlecht, aber der visuellen Komponente beraubt, war es schon ein Abenteuer in sich, sich mit dem Laden zu unterhalten, vor allem, wo ich dabei heraus bekam, dass die im Internet angegebene Adresse nur die Postanschrift ist, der Laden aber sich ganz wo anders befindet, und ich nun auch noch die neue Adresse und die Wegbeschreibung aufnehmen musste.
Aber es hat geklappt, und so standen Anette und ich Am Mittwoch um Eins vor einem kleinen, unscheinbaren, hollĂ€ndischen Einfamilienhaus, und drĂŒckten auf die HaustĂŒrklingel.
Truus, die Chefin öffnete uns, und bat uns herein. Kurz darauf saßen wir zusammen am Esszimertisch und bekamen von Ad, Truus Mann Kaffee serviert. Die nĂ€chste halbe Stunde verging mit leichter Konversation. Wer seid ihr, welche Erfahrung habt Ihr/Du? Ach das erste Mal, etc….
Langsam lies unsere NervositÀt nach. Anette wurde getröstet, dass sie bestimmt nicht ihren Mann verliert, sondern nur eine neue Seite seines Wesens kennen lernt. Truus muss das wissen, denn ihr Mann ist TV und das schon seit Jahrzehnten.
Nachdem der Kaffee dann alle war, gingen wir endlich in den eigentlichen Laden. Eine umgebaute Garage war als gemĂŒtliche Boutique zurecht gemacht. Hier fand man alles, was Mann braucht um sich als Frau zurecht zu machen. Schuhe, Schmuck, Kleider, Mieder, Röcke in allen LĂ€ngen, PerĂŒcken, SilikonbrĂŒste etc.
Ich zog mich erst einmal mit meinen mitgebrachten Kleidern um, wÀhrend Anette in den Klamotten stöberte.
So als Frau gekleidet setzte ich mich vor einen großen Spiegel, und Truus begann mich zu schminken. Jeden einzelnen Schritt erklĂ€rte sie dabei. Angefangen von der Bartschattenabdeckung, ĂŒber das Augenmakeup bis hin zum Lippenstift. Es war faszinierend wie so ein bisschen Farbe mein Gesicht verĂ€ndern kann.
Nicht nur das Truus jeden Schritt erklĂ€rte, hinterher gab sie mir auch noch ein Blatt Papier, auf dem auf dem diese Schritte beschrieben waren, damit ich sie zu Hause allein nach vollziehen kann. (Wenn Interesse besteht, kann ich diese Beschreibung gerne ĂŒbersetzen und hier einstellen)

Dann kamen die PerĂŒcken dran. Mit sicherem Griff fand Truus zwei drei PerĂŒcken in ihrem Sortiment, die von Schnitt und Haarfarbe zu meinem Typ passen könnten. Wohl um meinen Geschmack zu testen hatte sie auch eine in die Auswahl genommen, die auf mir aussah wie ein Wischmopp. Mal abgesehen von dieser, war die Auswahl verdammt schwierig. Mit jeder neuen PerĂŒcke guckte mich eine andere, fremde Frau an, die entfernt Ähnlichkeit mit mit meiner Schwester hat. Aber welche davon ist Gesine? Nach dem dritten mal die Auswahl durchprobieren fĂ€llt die Entscheidung. Die soll es sein.
Einmal das Endergebnis der BemĂŒhungen im Sonnenlicht betrachten, noch einen Kaffee, bezahlen, und dann ist Gesine fertig um in die Öffentlichkeit entlassen zu werden.

Bisher war Gesine nur in mir drin, mal von den drei Stunden vor Anette vor ein paar Tagen abgesehen. Jetzt sollte Gesine fĂŒr jeden sichtbar durch ein hollĂ€ndisches StĂ€dtchen laufen.
Es ist schon seltsam, man selbst kommt sich vor wie eine bunte Kuh. Man stolpert durch die Straßen, weil man mit den Sandaletten, mit denen man auf Linoleum wunderbar laufen kann, auf dem unebenen Kopsteinpflaster doch nicht so den richtigen Halt geben. Aber kein Mensch scheint sich dran zu stören. Da ist einer, der guckt mich direkt an, beobachtet mich. Sieht der jetzt die „Bunte Kuh“ oder die interessante, große Frau?
Die VerkÀuferin im Modeschmuckladen verzieht keine Miene als ich bei ihr die Ohrringe bezahle, genauso wenig wie die im KÀsegeschÀft oder die Kassiererin im Supermarkt. Bei meinem genuschelten NiederlÀndisch fÀllt auch meine Stimme und mein Tonfall nicht mehr auf als bei anderen Touristinnen.
Erst als wir wieder auf dem Campingplatz ankommen verlĂ€sst mich der Mut. Morgens als Mann duschen gehen, und abends als Frau ĂŒber den Platz laufen. Das wollte ich den anderen Campern nicht erklĂ€ren mĂŒssen.

Das war das erste mal, dass ich als Frau in der Öffentlichkeit war. Meine Logik sagte mir, dass ich „verkehrt“ angezogen bin, dass ich im Juni Karneval feire. Mein GefĂŒhl aber sagte mir, dass ich vielleicht etwas „overdressed“, aber ansonsten genau richtig angezogen war.
Ich glaube, dass ein der Besuch im Travisage, und die Betreuung durch Truus, einen großen Teil dazu beigetragen hat, dass dieser Tag so ein Erfolg wurde.

Lieben Gruß

Gesine

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