Miss Minni

Hallo, liebe Leser,
ich war 1979 als Schiffsfunkerin auf einem langweiligen Containerschiff, das die Route Los Angeles- San Francisco- Südtaiwan- Hongkong- Nordtaiwan- Los Angeles unter´m Kiel hatte. Klingt alles sehr verlockend, ist aber durch die kurzen Hafenliegezeiten richtig „fad“, weil man selten an Land kommt.
Aber Seeleute sind erfinderisch, und so gehen dann mal wichtige Ersatzteile „verloren“, oder die Maschine gibt „seltsame“ Töne von sich und muss gewartet und zerlegt werden – jedes einzelne PS wird fein säuberlich auf den Flurplatten ausgebreitet und untersucht – oder der Koch hat Probleme mit dem Dampfdrucktopf und muss auf den „Experten“ von Land warten, oder der umgekippte Kaffee hat die wichtigste Seekarte zerstört , oder….oder….oder- man tut eben alles mögliche, um die Hafenliegezeiten etwas zu verlängern.
So auch in Nordtaiwan in Keelung, einem hübschen Städtchen.
Hier hatte ich Zeit, mit ein paar Kollegen einen ausgiebigen Einkaufsbummel zu machen. Ich suchte nach einem dieser schicken chinesischen Kleider, lang, schmal, mit einem Stehkragen und einen langen Gehschlitz an der Seite.
Naja, irgendwie passten mir die Kleider „von der Stange“ nicht so recht, und die krellbunten Stoffe mochte ich auch nicht so. Also habe ich die Suche aufgegeben, und wir sind alle zusammen nett essen gegangen, in ein Restaurant, das meine Herren Seeleute schon kannten. Das breite, freche Grinsen dieser Herren hab ich als hungrige Vorfreude auf´s Essen gedeutet! Ich Schaf!
Das Restaurant war sehr gemütlich, die Tische ansprechend gedeckt und schön dekoriert, das Essen vom Feinsten. Nette , hübsche junge Damen , sehr höflich, in ebensolchen Kleider, wie ich sie suchte, bedienten uns unter der strengen Aufsicht einer älteren Dame, die von ihrem Platz hinter dem Bartresen aus alles mit Argusaugen beobachtete.
Als dann erst eine, dann mehrere der jungen Damen sich zu uns an den Tisch setzten, dachte ich noch so :“Andere Länder, andere Sitten, was soll´s, sie sind ja eine sehr angenehme Gesellschaft!“
Na ja, und weil die Damen so nett waren, bin ich dann an die Bar und habe mich mit einer von ihnen unterhalten – sie konnte ein bisschen Englisch, die Miss Minni ! Ich habe sie gefragt, wo man solche Kleider herbekommt, so schick eng und schmal und so gut sitzend – die Frage habe ich mit lebhaften Gesten „untermauert“. Sie hat mir dann erklärt, so was gäbe es nur bei einem Schneider. Ob sie mich denn mal in ihrer Freizeit zu einem solchen Schneider führen würde, habe ich gefragt.
Inzwischen waren die Gespräche meiner Seeleute verstummt, die Herren starrten mich verblüfft an. Sie konnten uns ja wegen der Musik nur sehen, nicht hören oder verstehen!
Und nun kam der Hammer: Miss Minni machte mir klar, das wäre kein Problem, ich müsste sie dann eben für ein paar Stunden von ihrer „Mama San“ auskaufen – so teuer sei sie aber gar nicht!
Ups, ich war in einem Edelpuff gelandet, die Barchefin war die Puffmutter, die „Mama San“, und die niedliche kleine Miss Minni war schlicht und ergreifend eine Nutte!
Nun verstand ich das Grinsen meiner Seeleute, und ihre erstaunten Blicke, als ich mit Miss Minni „verhandelt“ habe! Die dachten, dass ich und Miss Minni……….!
Ich hab einfach so getan, als hätte ich nichts gemerkt, hab mich für den nächsten Tag mit Miss Minni verabredet, habe mit der Mama San den Preis für 3 Stunden ausgehandelt, und bin wieder an meinen Tisch gegangen.
Betretenes Schweigen, fragende Blicke, Gemurmel von Seiten der Männer!
Irgendwann später bin ich mit dem Taxi zum Schiff zurück, und am nächsten Tag habe ich dann Miss Minni abgeholt, und wir sind zu ihrem Schneider, der nach einer kurzen Diskussion mit Miss Minni bei mir Mass genommen hat und mich einen Stoff aussuchen liess. Ich habe mich für einen wunderschönen, nachtblauen Samt entschieden.
Auf meine Frage, wann das Kleid fertig sein, antwortete man mir: in 2 Tagen! Oje, dann sind wir ja schon längst wieder auf See!
„Macht nichts!“ meinte Miss Minni, ich solle ihr etwas Geld dalassen, sie werde das Kleid für mich abholen, und wenn wir das nächste mal in Taiwan sind, kann ich es mir dann im Restaurant abholen.
Da ich ein vertrauensseeligen Kind bin, habe ich ihr 50 Dollar gegeben, und nachdem wir das fleissige Schneiderlein verlassen haben, sind wir noch gemeinsam durch die Strassen gebummelt, haben noch einen Kaffee zusammen getrunken, und so „typisch Frau“ geklatscht und geklönt.
An Bord zurück, wurde ich dann gefragt, wo ich gewesen sein, und ich sagte nur: „Bei Miss Minni!“
Ich hatte ja so meine Zweifel, ob ich Miss Minni, das Kleid und das Wechselgeld je wiedersehen wĂĽrde!
Trotzdem habe ich für Minni in Hongkong ein kleines Goldkettchen mit Herz, Anker und Kreuz dran, ein typisches Seemannsgeschenk, besorgt. Der 2. Offizier, der dabei war, fragte, für wen ich das denn gekauft hätte, und ich sagte nur :“Für Miss Minni!“
Beim nächsten Landgang in Keelung bin ich wieder mit der ganzen Clique in das besagte Restaurant .
Zu meinem Erstaunen wartete dort eine strahlende Miss Minni auf mich – mit meinem wunderschönen Kleid, liebevoll in Seide eingeschlagen, und mit dem Wechselgeld !
Vor den tellergrossen Augen meiner Besatzung schenkte ich ihr das Kettchen, worüber sie sich so freute, dass sie mich spontan in den Arm nahm. Ich habe sie dann „ausgekauft“, und wir beide sind fröhlich kichernd ( Minni hatte sehr wohl mitbekommen, was meine Seeleute dachten und welches Spiel ich spielte ) zusammen in ein anderes Restaurant essen gegangen und Miss Minni hat mir beim Stadtbummel danach noch viele interessante Geschäfte, Strassen und Märkte ihrer Heimatstadt gezeigt!
Es war ein ganz besonderes Erlebnis, und durch Miss Minni habe ich Dinge gehört, erzählt bekommen ,gesehen und erlebt, die ich ohne eine so gute Führerin nie erlebt hätte!

Der Bordklatsch ĂĽber die angeblich lesbische Funkerin schlug haushohe Wellen, die Reaktionen waren sehr unterschiedlich.
Von machomässiger Verachtung bis hin zu den Versuchen, mich fehlgeleitetes Wesen doch wieder für die Herren der Schöpfung zu interessieren , war alles dabei !
Und es gab natĂĽrlich die, die von Anfang an geahnt hatten, dass sie einem kleinen Streich meinerseits aufgesessen waren, und es gab den einen, der ganz genau wusste, das ich absolut heterosexuel und kein bisschen lesbisch bin!