Die Ringe
von Gesine Cubasch
Ich hab SIE nie gefragt, ob SIE meine Frau werden möchte, wir waren uns einfach einig.
SIE bestellte das Aufgebot, und ich unterschrieb die Beitrittserklärung. Ich hätte SIE nie getreten, aber der Standesbeamte bestand auf diese Erklärung, da ich irgendwo auf einem Schiff war, und nicht persönlich vor ihm erscheinen konnte um das Aufgebot zu unterschreiben.
Noch nicht einmal Ringe haben wir uns selbst ausgesucht. Meine Mutter hatte ein Paar für uns. Die erste Gravur von 18??, die zweite von 1920. Zwei Ehen hatten diese Ringe schon begleitet, bis das der Tod sie schied, jetzt sollten uns diese Ringe in der Ehe verbinden.
Zwei Jahre später kam unser Sohn zur Welt. Aus Freude darüber schenkte ich IHR einen Ring, mit einem kleinen Diamanten, den SIE seit dem zusammen mit dem Ehering trug. Und auch ich bekam einige Jahre später von IHR den Vorsteckring mit dem Stein, der die Festigkeit und Ewigkeit unsrer Verbindung symbolisieren sollte. Festigkeit und Ewigkeit, bis das der Tod Euch scheidet?
Auf dieser Reise sollten diese Werte auf eine harte Probe gestellt werden.
Es war von vornherein klar, dass es kein reiner Urlaub werden würde. Seit über einem Jahr lebe ich jetzt als Frau. Mein Name wurde amtlich geändert, und Hormone haben mein Äußeres und auch meine Psyche schon recht ansehnlich verändert. Jetzt sollte noch im als Abschluss der „kleine Unterschied“ angepasst werden. Keine ganz leichte Operation, aber trotzdem freute ich mich auf die dreißig Tage in Thailand. Die Vorbereitungen waren glatt verlaufen, der Flug, erster Klasse war angenehm, störend nur, dass es ein reiner Nichtraucherflug war, und SIE nach einigen Stunden ohne Nikotin doch sichtlich nervös wurde.
Die Fahrt zum Hotel war erschreckend. Dreiunddreißig Grad warmer Smog hing in der Luft, und machte uns das Atmen schwer. Der Verkehr auf den Straßen war erdrückend, und was aus den Auspuffen der Vehikel rund um uns herum kam, verstärkte den Gestank der Luft ins Unerträgliche.
Alles wirkte Grau in Grau, die Häuser wirkten vernachlässigt und verfallen, und die Baustellen dazwischen wirkten, als hätte seit Jahren niemand mehr daran gearbeitet. Dafür standen dazwischen immer wieder Wellblech- und Gitterfolien- Unterstände in denen Holzkohlenfeuer vor sich hin qualmten und zu dem Smog das ihre taten.
Die Hitze lässt meine Finger anschwellen, die Ringe drücken und erinnern mich daran, unter welcher Belastung unsere Ehe steht.
Hatte ich wirklich vor, mich in einer solchen Umgebung operieren zu lassen? Zum Glück kenne ich die Gegend schon aus meiner Seefahrtzeit, und ich weiss, dass hinter diesen verkommenen Fassaden durchaus auch hervorragende wissenschaftliche und medizinische Arbeit geleistet wird.
Das Hotelzimmer ist ganz annehmbar. Ordentlich und sauber, zur Begrüßung bekommen wir beide je einen großen Teller hübsch dekoriertes Obst, mit Obstsorten, von denen wir nur die Bananen identifizieren können. Der Blick aus dem Fenster ist deprimierend. Wellblech, Schutt, eine Baustelle.
Ich würde gern die Nachbarschaft erkunden, SIE will sich im Hotelzimmer verkriechen. Der Jetlag holt uns ein, wir pennen bis zu meinem Termin bei Dr.S.
Erst wird der Termin in der Klinik kurzfristig um eine halbe Stunde vorverlegt, in der Klinik heißt es dann der Doktor ist noch nicht da, der Termin wird sich noch etwas verzögern.
Aber während wir uns noch einen Platz im Wartezimmer suchen kommt schon eine er vielen Angestellten der Klinik zu uns um den Papierkrieg zu führen. Fragen nach diesem und jenem, Unterschriften hier und dort, und hier ist noch etwas zu lesen und hier ist noch ein erstes Gastgeschenk für uns Beide.
Endlich die Untersuchung durch den Doktor, schnell, kompetent, es wird keine Probleme geben. Zehn Minuten lang erzählt er, was ich längst aus dem Internet weiß, er erzählt mir nichts neues.
SIE ist sauer, weil er SIE schlicht ignoriert hat.
Am nächsten Morgen wollen wir die Nachbarschaft des Hotels erkunden. Im Foyer des Hotels, erwischt uns eins der Mädchen aus der Klinik. „Wollt Ihr mit zum Beachhouse?“ fragt sie mich. Klar will ich, die nächsten Tage werde ich im Krankenhaus verbringen, da tut mir ein Ausflug heute an den Strand bestimmt gut.
SIE druckst, dass SIE keine Lust hat, ich setze mich durch. Im Bus kramt SIE in ihrer Handtasche, zerknüllt nervös ein Taschentuch, dreht an IHREN Ringen und schließlich kann sie die Tränen nicht zurückhalten. Ich weiß nicht, wie ich Sie trösten soll. Trotzdem wurde es ein wunderschöner Tag, wir lagen unter Kokospalmen, haben im Meer und im Swimmingpool gebadet und uns einen tierischen Sonnenbrand geholt. Es war herrlich, Tropen vom Feinsten.
Der Hammer traf mich am nächsten Tag.
Um 12:00 Uhr sollte uns der Wagen zum Krankenhaus abholen. Unsere Köfferchen waren gepackt, als SIE mich fragte, wo denn meine Patientenverfügung sei. Seit Monaten lagen die Formulare auf dem Schreibtisch, ich habe mich nie dazu durchringen können sie auszufüllen. Da liegen sie heute noch. Also setze ich mich hin und formuliere eine Vollmacht für den Fall, dass ich nichts mehr entscheiden kann. Mir zittern die Hände. Seit über einem Jahr benutze ich meinen neuen Namen, jetzt schreibe ich den Namen den ich über fünfzig Jahre lang zu jeder Gelegenheit benutzt habe, und muss von Vorne anfangen. Ich gebe ihr die Vollmacht und kann SIE dabei nicht angucken, ein Kloß sitzt in meinem Hals.
Auf dem Weg zum Krankenhaus kommt ihre fast schon obligatorische Erinnerung, dass ich ja Jederzeit von der Operation zurücktreten kann.
Kann ich wirklich zurück? Sicherlich kann ich die OP jederzeit absagen. Und dann? Seit über einem Jahr haben wir uns nicht mehr berührt. Tagsüber Frau, im Bett ein Mann, das passt nicht. Ich bin Frau und will es ganz sein. Ich kann die OP nicht absagen.
Stoisch gebe ich ihr die Antwort, dass ich mir dessen bewusst bin. Kurz und knapp, damit SIE nicht merkt, dass ich kurz vorm heulen bin.
Die Aufnahme im Krankenhaus ist unwahrscheinlich schnell. Blut abnehmen, Röntgen, EKG, alles in einer knappen viertel Stunde. Nur mein Puls und mein Blutdruck verraten, wie aufgeregt ich bin.
Auf Station im Krankenzimmer beruhige ich mich wieder. Die Anästhesistin nimmt mir die letzten Ängste. Dafür dreht SIE wieder durch. Als die Schwester kommt um mich zu rasieren muss ich ihr gegenüber fast schon grob werden, damit die Schwester ihre Aufgaben erledigen kann.
Am nächsten Morgen, frisch geduscht und im lächerlichen Krankenhaus Pyjama werde ich in den OP gefahren. SIE begleitet mich bis vor die Schleuse vor dem Operationssaal.
Schweren Herzens ziehe ich die Ringe aus und gebe sie ihr. SIE öffnet ihre Halskette und hängt die die Ringe daran. Ich sehe die Verzweiflung in Ihren Augen, als ich im OP verschwinde.
Im Operationssaal herrscht die übliche Geschäftigkeit. Ich sehe noch, wie der Doktor mich fotografiert, dann weiß ich nichts mehr.
Als ich wieder wach werde liege ich in meinem Bett in meinem Zimmer. Über mir hängt ein Tropf, an einem Arm ist eine Blutdruckmanschette. Offenbar habe ich die Operation überlebt und wenn alles gut gegangen ist bin ich jetzt auch äußerlich eine Frau.
SIE steht an meinem Bett.
Wird SIE auch jetzt noch bei mir bleiben? Wird SIE mir die Ringe zurückgeben? Jetzt, wo ich auch äußerlich nicht mehr der Mann bin, den SIE vor 28 Jahren geheiratet hat?
Ich bitte SIE um die Ringe. Ich bin noch zu betäubt von der Narkose, um es wie einen Heiratsantrag klingen zu lassen. Aber SIE versteht es schon richtig, nestelt die Ringe von IHRER Halskette und steckt mir die Ringe an den Finger. IHR Lachen über mein Gestammel überzeugt mich, dass die Feuchtigkeit, die IHRE Augen strahlen lässt Glück und Erleichterung bedeutet und nicht Trauer und Abschied.
Beruhigt schließe ich die Augen, schlafe den Narkoserausch aus – und träume von unserer Hochzeit. Wir beide in Weiß.