Mann ĂŒber Bord

An einem Samstag Anfang Sept. 1979 auf einem grossen Containerschiff namens „Seatrain Princeton“ auf halber Strecke zwischen San Francisco und SĂŒdtaiwan.
Abends so gegen 23 Uhr.

Ich stehe mit dem 1. Offizier und dem KapitĂ€n oben auf BrĂŒcke, in der BrĂŒckennock, und wir geniessen den schönen, warmen Abend, reden ĂŒber Gott und die Welt. Die Sterne scheinen hell, das Meer spiegelt sie in tausend kleinen „Spiegelscherben“, und vom Achterdeck klingt leise Musik zu uns hinauf. Klar, unsere gilbertesischen Matrosen feiern, es ist ja Samstag abend.
Einer dieser Matrosen kommt zu uns hoch, stellt sich zu uns, und wartet höflich auf eine GesprÀchspause. Die ergibt sich erst nach ein paar Minuten, und dann sagt er ganz ruhig zu uns:
„Man over board …… Steward Waina jumped over board, just five minutes ago!”
Wir haben uns angeguckt 

 so nach dem Motto :“Was hat der gesagt, der tickt ja wohl nicht ganz richtig“…………….. doch dann sind wir auseinandergestoben, als hĂ€tte jemand eine Bombe zwischen uns geworfen. „Alaaaaaarm“
Ich bin wie so ein geölter Blitz in die Funkstation gerannt, habe Sender und EmpfĂ€nger eingeschaltet und auf Notruffrequenzen abgestimmt. ZurĂŒck auf BrĂŒcke, wo der „Alte“ schon die Geschwindigkeit drosselte ( das dauert ein bisschen bei so einem Riesenschiff, das ist kein Auto mit Bremse), und wendete, und der Erste warf mit Leuchtbojen um sich wie mit Konfetti. Inzwischen wurde es voll auf der BrĂŒcke, und dann kam auch der Assistent und meinte :“Mann ĂŒber Bord“! …..“Das wissen wir schon, du Scherzkeks“ war unsere etwas unfreundliche Antwort.
„Nein, nicht der, sondern sein Freund, der ist hinterhergesprungen mit den Worten:“I help my friend!“

Boot raus, und dann haben wir erst mal den hilfsbereiten Freund aus dem Wasser gezogen…………… ziemlich zeitgleich mit dem dritten „Springer“, der dem zweiten nun mit Schwimmweste vom Boot aus zu Hilfe kommen wollte!
Lemminge, oder was?

Inzwischen fuhr die „Seatrain Princeton mit langsamster Fahrt auf der eigenen Kurslinie zurĂŒck, alle Mann an Deck, Suchscheinwerfer an.
Das alles habe ich nur halb mitbekommen, weil ich inzwischen den Notruf gesendet und die Coastguard Hawai verstÀndigt habe, die uns im Morgengrauen ein Suchflugzeug schicken wollten.
Das traf am Vormittag ein, und wir stimmten die Suchkurse aufeinander ab.

So eine Suche ist entsetzlich!
Nach einiger Zeit des „Ins Wasser-Starren“ sieht man in der Orangenschale, die man eben weggeworfen hat, einen menschlichen Kopf………….ein springender Fisch wird zum winkenden Arm , die ausgebrannte Boje zum menschlichen Körper. Das Sonnenlicht glitzert, man ist halb geblendet, die Augen tun weh. Die Druckstellen vom Fernglas rund um die Augen pochen,
die Beine schmerzen, die FĂŒsse schwellen an.
Stunden verstreichen, keiner mag weggehen, nicht mal zum Essen runtergehen
Der einzige, der noch regulĂ€r arbeitet, ist der Koch, er schmiert Brötchen im Akkord, zaubert kĂŒhle SĂ€fte und Kaltschalen, kocht literweise starken Kaffee und Tee, schneidet Obst in handliche StĂŒcke und schleppt das alles an Deck und auf BrĂŒcke. Nur Saft, Tee und Kaffee finden Abnehmer, keiner bekommt einen Bissen herunter.
Der Tag vergeht, die Stunden verrinnen zĂ€hflĂŒssig.

Brechen wir die Suche ab? Und wenn der Steward noch lebt und uns wegfahren sieht? Hat es noch Sinn, diese Sucherei? Aufhören mag keiner, denn , was wĂ€re, wenn………..????? Keiner mag dem anderen noch in die Augen sehen, und so manch eine TrĂ€ne wird unauffĂ€llig weggewischt.

Ist er ertrunken ? Wohl kaum, die Jungs von den Gilbert-and-Ellis-Islands können alle schwimmen wie die Fische.
Zu kalt war das Wasser auch nicht, und ruhig war es auch, da kann man schon ein paar Stunden schwimmen.
Ist er in die Schraube gekommen? Hackfleisch ?
Oder hat ihn ein Hai erwischt?

Gegen 18 Uhr verlÀsst uns das Suchflugzeug, kurz darauf brechen auch wir die Suche ab.
UnglĂŒcklich, betrĂŒbt, voller „wenn“ und „abers“, hundemĂŒde, völlig erschöpft, denn niemand hat in den letzten 20 Stunden geschlafen, und der Tag zuvor war ja auch lang und arbeitsreich.
Besonders hart trifft es die Gilbertesen, die sehr aneinander hĂ€ngen, wie BrĂŒder, und die nun wegen ihres Mischglaubens aus christlichem Glauben und alten Geisterglauben 3 Tage lang wachen mĂŒssen, damit der Geist des Toten seine Ruhe bekommt.

Es hat viele Tage, ja Wochen gedauert, bis man wieder mal fröhliche Stimmen und ein unbeschwertes Lachen an Bord hören konnte!