Haartransplantation

So, jetzt habe ich die Muße, über die Haartransplantation zu berichten,

Pünktlich um 07:15 traf ich in der Praxis ein. Die Praxis liegt im vierten Stockwerk der Supornklinik, und ist über ein schmales Treppenhaus zu erreichen. Wie es sich gehört, zog ich meine Schuhe bereits unten im Treppenhaus aus, in der Praxis bekam ich dann ein paar Crocs-Nachbauten, die erstaunlicherweise sogar passten. Mir wurde ein orange-gelber Kittel in die Hand gedrückt, und dann sollte ich mich umziehen. Für meine Kleider und meine Wertsachen und Handtasche bekam ich ein Schließfach zugewiesen.

Nach dem Umziehen ging es ans Haare waschen.
Nichts mit bequemen Stuhl und rückwärts in ein Waschbecken legen, dass extra einen Ausschnitt für den Hals hat. Nein ich musste mich über eine ganz normale Küchenspüle beugen, aus einer großen Schüssel mit warmen Wasser wurde dann Wasser über meinen Kopf geschöpft, shampooniert und dann wieder kellenweise ausgespült.
Klingt kompliziert, aber da in Thailand kein Trinkwasser aus den Leitungen kommt, für eine solche OP die Haare aber sauber sein müssen, wurde das Wasser aus Flaschen in einen Wasserkocher heiß gemacht, mit kaltem Wasser aus der Flasche auf Temperatur gebracht und dann zum Waschen benutzt.
Nach dem Haare waschen, Föhnen und einigem Papierkrieg, zeichnete der Dr. noch einmal die neue Haarlinie an. Das gleiche Verfahren, wie am Tag zu vor, nur mit dem Unterschied, diesmal zog er seine Linien zum Abschluss mit einem wasserfesten Stift nach, damit sie nicht während der OP verschwinden.
Dann ging es in den Operationssaal. Ein großer Raum, mit einem Stuhl in der Mitte, der recht unbequem aussah. Eine sehr lange Sitzfläche,und die Rückenlehne wirklich im rechten Winkel dazu, aber deutlich kürzer. Ansonsten in dem Raum ein paar Schränke, ein Tisch mit mindestens einem Mikroskop, zwischen diesem Tisch und dem OP-Stuhl ein Wandschirm.
Ausserdem stand noch ein großes Radio auf einem Tisch mitten im Raum und lies leise Musik von einer CD hören.
Ich wurde auf dem Stuhl platziert, und dann begann der Dr. zunächst damit, dass er meine Kopfhaut hier und dort und dann wieder wo anders zusammen schob, wohl um zu testen, wie lose sie auf meinem Schädel aufsitzt. Schliesslich hatte er sich wohl für eine geeignete Stelle entschieden und fing dann an mich zu kämmen. Teile meiner Haare nach oben, Teile nach unten. Schliesslich hörte ich, wie wohl etwas wie Tesafilm abgerollt wurde und die Haare, die er nach oben gekämmt hatte, damit nach oben fixiert wurden. Wieder wurde gekämmt, diesmal nach unten, und dann dass typische Geräusch einer Haarscheidemaschine. Ob das alles so richtig ist? Ich bin doch stolz darauf, dass meine Haare echt und schon so lang sind. Aber es geht weiter. Wieder wird irgend etwas mit Klebestreifen fixiert. Dann nimmt der Dr. eine Creme und erklärt mir, das sei eine Betäubungscreme aus Schweden, „Die Schweden machen sehr gute Betäubungen, die Deutschen sehr gute Maschinen“. Die Creme wird mit Folie abgedeckt , und dann wird die Creme auch noch dick auf die Stellen aufgetragen, wo die Haare nachher eingetopft werden sollen. Folie drauf, mit Tesa fixieren. Jetzt darf ich aufstehen und ich werde ins Wartezimmer/Büro gebeten. Da steht schon eine Tasse mit heißer Schokolade, ein Glas Wasser und ein Glas mit zwei Tabletten gegen Blutungen und einer Valium für mich bereit. Ich werde auf eines der beiden Sofas komplimentiert, der Dr. setzt sich auf einen Stuhl, und die beiden Krankenschwestern kuscheln sich auf einem zweiten Sofa zusammen. „You may sleep, I will wake you up“ sind so mehr oder weniger die letzten Worte des Dr., bevor er selbst die Augen für ein Nickerchen schliesst. Naja, die Creme braucht ja auch schliesslich eine knappe Stunde um zu wirken, und weshalb soll man in der Zeit nicht seine Augen schonen.

Im Laufe dieser Stunde trudelt so das restliche OP-Team ein.Ich habe etwas den Überblick verloren, aber neben dem Dr. waren bei der OP noch bestimmt acht weitere Personen beteiligt.

Nachdem der Operationssaal dann für die eigentliche OP vorbereitet worden war, wurde ich wieder auf den Stuhl gesetzt. Diesmal hatte man vorsichtshalber jede Menge Kissen, in grüne OP-Tücher gewickelt, auf den Stuhl gelegt, damit ich es halbwegs bequem habe. Wieder saß ich senkrecht auf dem Stuhl. Ein besonders großes Kissen, das in seiner Form irgend wie an einen Stiefelknecht erinnerte, sollte ich so halten, dass mein Kinn in der Ausbuchtung liegt, das andere Ende des Kissens auf meinen Knien gehalten wird, und so meinen Kopf stützt.
Die Verklebung an meinem Hinterkopf wird wieder entfernt. Noch einmal tastet der Dr. alles ab, dann höre ich etwas, was mich zum einen an einen elektrischen Batterierasierer erinnert, aber dann spüre ich dies Geräusch ganz dicht an meinem Hinterkopf. Ein Vibrator? Während ich noch darüber nachdenke höre ich ein leises Knacken, und gleichzeitig fühle ich ein Pieksen in der Haut. Der Vibrator wandert weiter und wieder das Knacken und Pieksen. So geht es eine ganz Zeit weiter. Ich frage den Dr., ob das jetzt das Lidocain ist, das er einschiesst, aber nein, er meint das sei bloß Wasser. Irgend wann macht er Pause, setzt sich auf einen Stuhl und es beginnen mal wieder 10 Minuten Wartezeit.
Der Dr. kommt wieder, jetzt könne es mal kurz weh tun, meint er. Wieder Vibrator, aber diesmal kein Knacken, sondern nur das Pieksen. Offenbar spritzt er jetzt mit einer Kanüle das Betäubungsmittel. Und wieder beginnt das warten. „We will wait, until you no pain“.
Zehn Minuten später ist er wieder da, und drückt mir mit irgend etwas auf die Stelle, die er eben betäubt hat. „You pain?“ „no“. Natürlich spüre ich etwas, aber es tut nicht weh. Dann beginnt er sein Werk. Sehen kann ich ja nichts, nur fühlen, wenn da irgendwo gedrückt wird, etwas weg gewischt wird und so weiter, und manchmal klingt es als würde er mit einer Schere durch sehr dickes Material schneiden.
Nach schier endloser Zeit meinte der Dr. dann, so das erste Stück haben wir. Eine der Krankenschwestern kam in mein Gesichtsfeld und hielt mir in einer Petrischale etwas hin, was auf den ersten Blick wie die heraus getrennte Rückenflosse eines Fisches aussah. Ein schmaler Streifen, etwa ca. 10-12 cm lang, längs gestreift, auf der einen Seite blass rosa/weiss, auf der anderen etwas dunkles.
Beim genaueren Hinschauen sah ich dann, dass das Dunkle meine Haare waren. Der ganze Streifen war so etwa 2 cm breit, zur Hälfte Haare, zur anderen Schwarte.
Irgendwie habe ich bei der ganzen Aktion das Zeitgefühl verloren. Ich weiss bloß, dass mir nach einiger Zeit und durch das steife, aufrechte Sitzen der Hintern fürchterlich weh tat. Irgend wann hat der Dr. dann noch einen zweiten solchen Streifen aus mir heraus geschnitten, und dann begann er gleich damit, die Schlitze, die er da frei gelegt hatte wieder zu verschließen. So bekam mein Hinterkopf gleich noch ein Lifting.
Endlich war es geschafft, die Rückenlehne wurde umgeklappt, eine Verlängerung wurde montiert und ich konnte endlich liegen, und mein schmerzendes Hinterteil mal in eine angenehmere Lage bringen.
Dafür wurde jetzt mein Gesicht mit den grünen keimarmen Tüchern abgedeckt, sodass ich gar nicht mehr sehen konnte, was sonst so im Saal passierte. Ich war also endgültig auf meine anderen Sinnesorgane angewiesen.
Wieder begann die Betäubungsarie mit dem Vibrator und dem Knacken, Pause, Vibrator und Pieksen, Pause, „You feel Pain?“ „No“

Mein Kopf wird hin und her gedreht, plötzlich drückt der Dr. mir irgend etwas kräftig auf den Kopf. Ich merke zwar keine Schmerzen, aber wenn irgend etwas mir so auf die Stirn drückt, dass ich mit dem Hinterkopf im Polster versinke, dann merke ich das schon. Dann kam ein Geräusch, dass klang, als wenn jemand einen Nagel in ein Pickboard drückt. Erst ein Schabquietsch, dass von ein leichten Plopp beim Erreichen des Anschlags abgeschlossen wird. Und dass gleich noch mal und mal und mal. „Setzt er jetzt die Haare ein? Wie schafft er das so schnell?“ frag ich mich. Dann wieder der kräftige Druck, dann wieder dreißig, vierzig mal das Pickbord Geräusch. Ein Geräusch, das wahrscheinlich nur ich über den Knochenschall höre. Irgendwann piekst er nur noch, das Drücken bleibt aus. Und neben dem Dr. steht offenbar eine Schwester, die ihm regelmässig irgend etwas sagt, aber von ihm keine Antwort erhält. Ich vermute, es ist ihre Aufgabe mit zu zählen, wie oft der Dr. piekst, denn schliesslich wird er nach Stückzahl verpflanzter Haare bezahlt, und da darf er natürlich nicht zu viel verbrauchen.
Endlich ist es geschafft, das Pieksen hört auf, und ich hoffe, dass ich endlich mein schmerzendes Hinterteil entlasten kann.
Aber irgendwie machen die keine Anstalten, mich zu befreien. Statt dessen fühle ich, wie jetzt mindesten 4 Krankenschwestern um mich herum stehen. Ich höre das Klappern von Pinzetten, irgend etwas tropft auf meine nicht betäubte Stirn, und irgend wie ist ein Rhythmus zu erkennen zwischen dem Klappern der Pinzetten und dem leichten Druck, den ich an meinem Kopf verspüre. Jetzt begreife ich. Der Dr. hat mit einem Pflanzholz die Löcher gebohrt, und die Schwestern versenken jetzt die Haare darin. Das ganze geht endlos so weiter. Wenn dies eine Bondagesession wäre, wäre es jetzt bald an der Zeit das Safeword zu sagen.
Endlich höre ich neben dem ununterbrochenem Gegicker und Gegacker der Schwestern auch wieder die Stimme des Dr. Es klingt, als würde er sich die Arbeit der Mädchen betrachten, und hier und da noch auf ein nicht gefülltes Loch hinweisen. Dann wird irgend etwas aus einer Sprühflasche auf die betäubte Fläche gesprüht. Sahne auf die Torte?

Endlich, endlich wird mir wieder das Tuch vor dem Kopf weg genommen. Ein Wattestreifen um den Hinterkopf gelegt und mit Pflaster fest geklebt, meine Haare werden nach hinten gekämmt und mit einem Gummiband zum Zopf fixiert, und dann bekomme ich einen Spiegel in die Hand. Schon der erste Blick ist umwerfend. Mit streng zurück gekämmten Haaren sehe ich nicht mehr aus wie ein Mann. Ich weiss gar nicht was ich sagen soll.

Eine Schwester tupft mir am laufenden Band mit irgend etwas auf den ehemaligen Geheimratsecken herum. Ich darf wieder aufstehen, zwei Schwestern stehen bereit um mich auf zu fangen, falls mein Kreislauf weg sackt. Aber ich schaffe es in die Schuhe zu schlüpfen.
Dr.Wong fordert mich auf, ihn zum Mittagessen zu begleiten. Gleich morgens hatte er mich gefragt, was ich zum Lunch haben wolle. Ich habe meinen Wunsch auf einen Orangensaft beschränkt, aber mich schon seit Stunden gefragt, ob die nicht mal eine Pause machen wollen, damit sie ihr Mittag bekommen und ich mein Gesäß entlasten kann. Aber jetzt? Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es inzwischen 3 Uhr Nachmittags ist. Das Werk ist vollbracht, was soll ich noch hier?
Während ich dem Dr. beim Essen zusehe, meinen O-Saft schlürfe und mühsam versuche, Smalltalk zu machen, tupft eine der Schwestern mir immer wieder auf die neuen Haarflächen.

Irgendwann findet sie auf dem Tupfer wohl keine frischen Bluttröpfchen. Ich darf ihr jetzt ins Büro folgen, wo ich neben einem Beutel Medikamenten ein aufblasbares Nackenhörnchen und zwei Bandanas bekomme.
Das Nackenhörnchen, damit ich in den nächsten Nächte nicht die frische Saat im Schlaf heraus reiße, die Bandanas als Sicht und Lichtschutz. Die frisch gesetzten Keimlinge vertragen halt noch kein UV-Licht, und schon gar keinen Sonnenbrand. Und noch ist um jedes verpflanzte Haar eine Blutkruste. Nicht schlimm, aber schön ist etwas anderes. Hier im Hotel habe ich jetzt halt die Wahl, ob ich wie die Überlebende eines Motorradunfalls oder wie die Karikatur eines Karibikpiraten aussehe.

So weit der Bericht zu Haartransplantation.

Lieben Gruß
Gesine